Hinter dem Regenbogen: Was Rainbow-Washing mit struktureller Benachteiligung am Arbeitsplatz zu tun hat – und was Unternehmen dagegen tun können
Während der Pride Month immer bunter wird, werfen die Marketingmaßnahmen vieler Unternehmen immer öfter diese eine Frage auf: Ist das noch echte Solidarität oder bloß lukrative Werbestrategie? Und wie soll man das überhaupt noch voneinander unterscheiden? Denn noch viel mehr als regenbogenfarbene Logos ist es vor allem die interne Struktur, die Auskunft darüber gibt, wie LGBTQIA+-freundlich ein Unternehmen wirklich ist.
Sichtbarkeit für problematische Strukturen
Es ist 55 Jahre her, dass in New York City die Stonewall-Unruhen stattgefunden haben, bei denen sich die Besucher*innen einer Schwulenbar erstmal öffentlichkeitswirksam gegen die polizeilichen Übergriffe und Diskriminierung gegenüber homosexueller Menschen gewehrt und damit die Geburtsstunde der Pride-Bewegung markiert haben.
Immer noch oder vielleicht sogar mehr denn je steht der Juni auch heute noch ganz im Zeichen der Awareness für die Rechte der LGBTQIA+-Community. Es finden Vorträge und Lesungen statt, Menschen der Community sowie verbündete Allies marschieren am Christopher Street Day durch die Straßen und auf den sozialen Medien klären Personen des öffentlichen Lebens darüber auf, was es bedeutet, in unserer heutigen Gesellschaft queer zu sein. Pride Month bedeutet neben viel inhaltlichem Input vor allem eins: Es wird bunt. Unternehmen färben ihre Logos in Regenbogenfarben, Autos, Züge und Flugzeuge werden in bunte Farben gehüllt und im Supermarkt werden wir mit Produkten im Pride-Design überschüttet. Flagge zu bekennen und sich so öffentlich mit der Pride-Bewegung zu solidarisieren ist dabei nicht nur ein politisches Statement, sondern in den letzten Jahren zu einem regelrechten Trend avanciert – der insbesondere bei vielen Unternehmen nicht selten in einer ausgeklügelten Marketingstrategie mündet. Und bei der die Grenzen zwischen ehrlicher Solidarität und stumpfer Absatzsteigerung zunehmend verschwimmen.
Echte Solidarität statt S(c)hein
Wenn das Fast-Fashion-Label Shein eine Pride-Kollektion auf den Markt bringt, gleichzeitig aber seit Jahren für das Missachten von Arbeitnehmer*innen-Rechten in der Kritik steht und in einem Land produziert, in dem aktiv gegen queere Menschen vorgegangen wird, dann hinterlässt das einen bitteren Nachgeschmack. Wenn der Autohersteller BMW sein Logo in Deutschland während des Pride Month in Regenbogenfarben hüllt, in Ungarn oder dem Nahen Osten aber bewusst darauf verzichtet, dann hört die Solidarisierung genau da auf, wo es für den Konzern finanziell unbequem wird. Wenn der US-amerikanische Einzelhandelskonzern Walmart eine Pride-Produktlinie vertreibt, gleichzeitig aber eine Nähe zu queerfeindlichen Politiker*innen aufweist, dann ist Pride nur noch ein Modebegriff, der plötzlich ohnmächtig gegenüber tiefliegender, gesellschaftlicher Strukturen scheint.
Wir alle kennen dieses Problem, haben ihm als „Rainbow-Washing“ Einzug in die gesellschaftliche Debatte gewährt – und damit vielleicht noch mehr Fragen aufgeworfen, als wir uns in einer strukturell queerfeindlichen Welt sowieso schon stellen müssen. Woher sollen wir noch wissen, welche Organisation oder welches Unternehmen es wirklich ernst meint? Wo hört Aufrichtigkeit auf und wo fängt Schein-Solidarität an?
Gleichzeitig kann Rainbow-Washing aber auch genau wegen dieses haarsträubenden Diskurses als eine Chance begriffen werden – denn es zwingt uns dazu, hinter die Fassaden zu blicken und Unternehmen, sich ernsthaft die Frage zu stellen, wie man sich solidarisch zeigen kann, ohne Gefahr zu laufen, in inhaltslose Marketingfloskeln abzurutschen. Und eigentlich ist Antwort so einfach wie simpel: Indem sie dort anfangen, etwas zu verändern, wo die Benachteiligung aller marginalisierten Gruppen am festesten verankert ist – in den Strukturen. Denn – und das ist vielleicht der entscheidendste Punkt, der Rainbow-Washing von echtem Support unterscheidet – am Ende müssen vor allem die Menschen profitieren, die der Pride Month betrifft: die queere Community.
Vom Symbol zur Substanz: Wie Unternehmen echte Solidarität zeigen – und warum das bitte nötig ist
2020 ist eine Studie der DIW veröffentlicht worden, die aussagt, dass queere Menschen im Job überproportional oft benachteiligt werden. Dabei gaben 30 Prozent der Befragten an, schon einmal am Arbeitsplatz diskriminiert worden zu sein. Eine andere Studie aus demselben Jahr besagt, dass mehr als 53 Prozent der Arbeitnehmenden in Deutschland glauben, dass die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität einen negativen Einfluss auf ihre berufliche Entwicklung haben. Ein weiteres Ergebnis ist außerdem, dass Menschen in leitenden Positionen das Gefühl haben, weniger offen mit ihrer Sexualität umgehen zu können. Und auch wenn sich die Situation von queeren Mitarbeitenden in den letzten Jahren verbessert hat und Deutschland zu einem von 77 aus 195 Ländern gehört, das überhaupt Gesetze gegen die LGBTQI+-Diskriminierung erlassen hat, gestaltet sich der Arbeitsalltag queerer Personen im Vergleich zur heterosexuellen Cis-Menschen nach wie vor schwieriger.
Tatsächlich geschieht diese Benachteiligung durch die arbeitgebende Person oder die Kolleg*innen in vielen Fällen nicht einmal bewusst. Vielmehr ist Unwissen und die fehlende Einbettung in Pride-unterstützende Strukturen in die Unternehmenskultur der Grund für die strukturellen Probleme, die queere Menschen am Arbeitsplatz haben. Da hilft es wenig, das Firmenlogo nach außen hin in Regenbogenfarben anzustreichen, aber nach innen nur Weiß und Schwarz zu leben. Dabei gibt es viele Stellschrauben, die Unternehmen justieren können, um auch von innen heraus Pride zu beweisen – um dann nach außen mit Stolz die Regenbogenflagge zu hissen.
I know, das Wort ist in diesem Beitrag schon diverse Male gefallen, aber wenn es darum geht, einem immer noch großflächig anti-queeren Gesellschaftskonstrukt an den Kragen zu gehen, kommt es immer wieder auf dieses kleine Wort mit der großen Wirkung an Struktur. Ein Unternehmen muss diskriminierungsfreie Strukturen und aktive Maßnahmen gegen Diskriminierung einführen. Die Gleichberechtigung aller Mitarbeitenden ist zwar im Arbeitsschutz sowie im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verankert, sollte aber unbedingt auch in den Unternehmensrichtlinien sowie in den Leitlinien für Vorgesetzte, Kolleg*innen und die Personalabteilung aufgeführt werden. Nur so kann sie sich zu einem der Grundsätze der Unternehmenskultur entfalten – was sich nach außen hin sichtbar zum Beispiel in flexiblen Arbeitszeiten, LGBTQIA+-freundlichen Benefits, einer genderneutralen Unternehmenssprache, genderneutralen Toiletten und inklusiven Einstellungen zeigt. Manchmal macht schon die Option, in offiziellen Formularen ein drittes oder eben gar kein Geschlecht angeben zu können, diesen einen Unterschied. Auch Spendenaktionen oder die interne Teilnahme an LGBTQIA+-Events wie dem CSD setzen ein wichtiges Zeichen.
Die Bedeutung von Initiativen, Support-Systemen und einer inklusiven Unternehmenskultur
Ein weiterer wesentlicher Bestandteil einer inklusiven Unternehmenskultur sind umfassende Support-Initiativen. Das bedeutet: Chef*innen, Kolleg*innen, Personaler*innen und wer auch immer – es ist okay, nicht immer alles richtig zu machen. Es ist nicht okay, es bei diesem Gedanken zu belassen. Kompetenzschulungen oder Workshops zu Themen wie Vielfalt, Antidiskriminierung und LGBTQIA+ geben allen Mitarbeitenden einen sichern Rahmen, Fragen zu stellen, mit Unsicherheiten umzugehen und in den Austausch zu kommen – mit dem Ziel, Schritt für Schritt zu lernen, wie man ein guter Ally ist und warum das so verdammt wichtig ist.
Ja, warum ist das denn so verdammt wichtig? Mal ganz davon abgesehen, dass jeder Mensch auch unabhängig von Geschlecht oder Geschlechtsidentität for obvious reaons gleichbehandelt werden sollte, bringen Menschen am Arbeitsplatz bessere Leistungen, wenn sie ganz sie selbst sein können. Immerhin kostet es wertvolle Lebensenergie, sich fortlaufend verstecken oder rechtfertigen zu müssen. Außerdem führt ein vielfältiges und inklusives Unternehmen einfach zu besseren Ergebnissen – durch mehr mehr Perspektiven, mehr Kreativität, mehr Freiheit.
Übrigens, LGBTQIA+-Support ist keine To-do-Liste, die man einfach stumpf abarbeiten sollte – und natürlich kann nicht jedes Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Ressourcen alle Maßnahmen gleichermaßen umsetzen. Und natürlich kannst du dein Logo oder deine Website oder dein Produkt in der Pride-Zeit (und am besten noch darüber hinaus) bunt anmalen. Aber interne strukturelle Veränderung als Priorität zu fassen und sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, wie man queeren Menschen das Leben am Arbeitsplatz erleichtern kann, ist der wohl echteste und wichtigste Part in der Schaffung einer toleranten, gleichberechtigten Gesellschaft – in der Rainbow-Washing vielleicht irgendwann gar nicht mehr nötig ist.
Happy Pride Month!
Quelle
Studien
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/acfi.12787
Liste, mit Organisationen, die durch Spenden unterstützt werden können
https://interventionen.dissens.de/materialien/organisationen-anlaufstellen
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