Hochstapler*innen, Impostor-Parasiten und das Arbeitsumfeld

Der Impostor-Parasit Bei der Arbeit woher er kommt und was für ein Einfluss das Arbeitsumfeld auf ihn haben kann

 
Ich bin eine Hochstaplerin. And soon enough, they will know. Was klingt, wie ein Zitat aus der Netflix-Serie „Inventing Anna“ ist das Flüstern meines Impostor-Parasiten – der mir zuverlässig zum Einstieg bei merkenschoenberg einreden will, dass ich doch eigentlich gar nichts kann. 

 

In meinem bisherigen Berufsleben habe ich größtenteils journalistisch gearbeitet. Ich kenne sowohl Radio- als auch Fernsehredaktionen, weiß wie man Fakten checkt, Themen sammelt und Reportagen schreibt. Ich weiß, dass das alles Skills sind, die man zweifellos auch in einer Kommunikations- oder Werbeagentur gebrauchen kann. Und dass meine Unkenntnis über die eine oder andere Marketingfloskel kaum als unüberwindbare Hürde bezeichnet werden kann. 

Trotzdem kommt mir meine fehlende Erfahrung im Bewerbungsgespräch mit Maren wie ein gigantisches Defizit vor – obwohl sie mir das Gefühl gibt, ideal für die Stelle als Texterin geeignet zu sein. Denn eigentlich ist dieses trotzdem ein wegen, weil ich nicht trotz irgendwelcher Mankos, sondern wegen meiner Erfahrung im Team merkenschoenberg bin.  

Dieses verräterische und selbstsabotierende Stechen in meiner Magengegend, das gern trotzdems und obwohls benutzt, macht sich vornehmlich dann bemerkbar, wenn ich in Situationen wie in Bewerbungsgesprächen eigentlich vornehmlich weils und wegens im Kopf haben sollte. Und keine perfiden Bauchschmerzen, die in Form von gänsehautartigen Regungen bis in meinen Kopf hochwandern und raunen: Was, wenn ich eigentlich gar nicht so geeignet bin? Und wie unangenehm wird der Moment, wenn das auffliegt? 

 

 

Impostor-Syndrom heißt das aufdringliche Gefühl, die eigenen Fähigkeiten zu relativieren und sich von Selbstzweifeln aus der Fassung bringen zu lassen – insbesondere in Situationen, in denen das bewiesene Können eigentlich im Vordergrund steht. Das ist bei vielen erwachsenen Menschen der Arbeitsplatz. Eine andere, irgendwie filmartige Bezeichnung lautet „Hochstapler-Syndrom“, weil das Gefühl, sich und seinen Mitmenschen etwas vorzumachen, eines der Hauptsymptome ist. Auf keinen Fall bin ich hundertprozentig fachlich für diese Stelle geeignet. Und irgendwann fliegt das auf.  

Meine Freundin Lilly hat das Impostor-Syndrom ziemlich treffend mit einem Parasiten verglichen, der einem immer dann infernalisch ins Ohr flüstert, wenn einem die eigenen Erfolge und Leistungen vor Augen geführt oder man sonst irgendwas geschafft hat. Oft ist er auch ganz still und macht heimlich seinen Parasiten-Kram, um dann bei der nächsten erfolgreichen Projektabgabe wieder zuzuschlagen.  

Dass mein Impostor-Parasit sich in Bewerbungsgesprächen oder bei den Abgaben meiner Texte begleitet, ist also kein Zufall. Noch weniger Zufall ist, dass das Syndrom nicht nur mich betrifft. Im Gegenteil – laut einer Studie aus dem Jahr 2011 sind ca. 70 % aller Menschen schon mal vom Impostor-Parasiten angeraunt worden. Einige Psycholog*innen attestieren uns sogar allen einen Befall – wobei das Ausmaß der Symptome extrem unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Vielleicht ist das Flüstern bei einigen Menschen so leise, dass sie es gar nicht hören. Mal gedämpft, mal laut, wie bei mir. Oder so aufdringlich, dass sie sonst nichts mehr hören.  

Impostor betrifft Männer und Frauen gleichermaßen – wobei die Art und Weise, wie sie damit umgehen, sich wesentlich unterscheiden soll. Während Männer öfter vom Impostor-Parasiten gefressen würden, treibe er Frauen wie Jockeys ihre Pferde zu Höchstleistungen. Ich halte das für plausibel: Immerhin leiden statistisch mehr Frauen als Männer unter Burnout. Außerdem werden an Frauen in der Gesellschaft gerade im beruflichen Kontext ohnehin immer noch viel mehr Ansprüche gestellt.  

Eine Studie von 1983 spricht davon, dass Männer Leistung eher als Attribut verbuchen, welches aus ihnen heraus entsteht, wohingegen Frauen Erfolg eher als „Glück“ oder „Schicksal“ betrachten. Ernstzunehmender, immer noch hochaktueller Bullshit.

 

Bullshit, der in einer Gesellschaft entsteht, die so viele widersprüchliche Rollenerwartung an Frauen stellt, dass Frauen diese gar nicht erfüllen können. Bullshit, der in einer Gesellschaft entsteht, die Frauen das Gefühl gibt, sowieso nie genug zu sein. Frauen, macht Karriere. Bringt Leistung. Werdet Mütter. Seid dabei aber bitte auch schön. In Chefpositionen schafft ihr es aber vermutlich trotzdem nicht.  

Und auch wenn ich weiß, dass das alles sozial konstruierter, patriarchalischer Bullshit ist, glaube ich schon, dass es immer noch einen erheblichen Einfluss auf mein Selbstwertgefühl, mein Leistungsempfinden und das Leistungsempfinden tausend anderer Frauen hat, wenn auf den Chefsesseln dieser Welt fast nur Männer sitzen. Weiß ich, dass ich und jede andere Frau genauso das Potential haben, in Führungspositionen zu sein? Jep. Feier ich es, jetzt auch eine Chefin zu haben? Jep. Klopft der Impostor trotzdem an, wenn mich jemand lobt, weil ich trotzdem manchmal nur schwer glauben kann, dass ich das genauso kann? Jep.  

Natürlich füttern nicht nur sexistische, sondern viele weitere strukturelle Benachteiligungen und soziale Strukturen den Impostor-Parasiten. Ich gebe einen Teil der Schuld also dem System, dass Menschen von klein auf einen Parasiten einpflanzt und dann erwartet, dass wir uns einfach selbst von diesem befreien. Ich gebe einen Teil der Schuld einem Arbeitsmarkt, der immer noch von Männern regiert wird, deren Leistungen doch offensichtlich so viel mehr wert sind.  

Zu verstehen, dass ich den Impostor-Parasit habe und woher er kommt, hat mir geholfen. Genau wie ein neues Arbeitsumfeld, dass permanent Impostor-Pestizide ausschüttet und das Flüstern zumindest teilweise verstummen lässt. Frauen in Führungspositionen, Können als lebenslanges Lernen, dass keine Expert*innen braucht, sondern Menschen, die sich auskennen, viele Kolleginnen, und ein dynamisches System sind eben die perfekte Waffe gegen den Arbeits-Impostor-Parasiten.  

  

Quellen  

Studie von 2011 von Wissenschaftler Jaruwan Sakulku und James Alexander, dass 70 % aller Menschen Impostor haben:  

https://www.sciencetheearth.com/uploads/2/4/6/5/24658156/2011_sakulku_the_impostor_phenomenon.pdf 

Studie von 1983, dass Frauen Erfolg eher als Glück sehen:  

https://mpowir.org/wp-content/uploads/2010/02/Download-IP-in-High-Achieving-Women.pdf 

Burnout-Studie:  

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/233475/umfrage/praevalenz-von-burn-out-nach-geschlecht-alter-und-sozialem-status/#:~:text=In%20der%20Bundesrepublik%20leiden%20rund,(3%2C3%20Prozent)